Inspiration: Bildband „Still“ von Thomas Struth

Der Bildband Still von Thomas Struth.

Viele von Thomas Struths Bilder passen nicht in unsere Zeit. Sie sind so auffällig unauffällig, dass sie in der täglichen Flut an Bildern, die gerade darum bemüht sind, unsere Aufmerksamkeit zu erregen, untergehen. Für Struths Bilder muss man sich Zeit nehmen - vielleicht auch nicht nur einen stillen Moment abwarten, sondern auch einen stillen Raum aufsuchen. Diese Bilder wollen in Ruhe betrachtet und verstanden werden. Dann werden diese Bilder, die auf den ersten Blick oft banal erscheinen, verdächtig. Denn die Bilder von Thomas Struth sind technisch nicht perfekt. Sie sind roh, unbearbeitet und direkt. Insbesondere die Porträts von Blumen und die Porträts von Menschen wirken (böse gesagt) amateurhaft. Ihre Korrespondenz zeigt aber auch, dass es penibel geplante und äußerst bewusst gestaltete Aufnahmen sind, die nicht im Vorübergehen entstanden sind.

LESETIPP: THE NEW YOKER: DEPTH OF FIELD - THOMAS STRUTH'S WAY OF SEEING. BY JANET MALCOM.

Still - Ein perfekter Einstieg in das Werk von Struth

Der Versuch Struths, eine explizit dokumentarische Position in der Fotografie zu entwickeln, wird in all seinen Bildern deutlich. Der Bildband Still, der im Rahmen einer Ausstellung entstand, ist ein perfekter Einstieg in das Schaffen (zumindest bis 1998) von Thomas Struth. Es zeigt neben ein paar seiner berühmten frühen Arbeiten ein breites Spektrum seiner breit gefächerten Genres. Das interessante dabei ist, dass der Leser nicht chronologisch durch das Werk geführt wird, sondern durch die Anordnung das Verbindende der Arbeiten aus verschiedenen Jahrzehnten deutlich zutage tritt. Dennoch: Aus einer heutigen Perspektive sind die Bilder und der Erfolg von Thomas Struth nicht selbsterklärend. Ein Stück weit helfen die begleitenden Essays in dem Band bei der Einordnung und der Orientierung. Struth erhob die Fotografie zu einer eigenen Kunstform, als ihr Status zumindest noch zum Teil fraglich war. Insbesondere die Lehrer von Struth - Bernd und Hilla Becher - sorgten zudem noch für eine Kontroverse, als sie das Banale, Alltägliche zum Hauptgegenstand ihrer Fotografien erhoben. Dieses Erbe führt Struth fort und erarbeitete darauf aufbauend seine eigene Position.

„Mich beeindrucken Fotografien ohne persönliche Handschrift.“
Thomas Struth

In einer Zeit, in der Distinktion und Einzigartigkeit immer wichtiger wird, um sich vom allgemeinen digitalen Rauschen abzuheben, wirkt dies wie eine der radikalsten ästhetischen Positionen schlechthin. Wer sich auf die Arbeiten von Struth einlässt, kann aber gerade aufgrund dieser Herangehensweise etwas Überraschendes erleben. Die Methode, die eigene Position als die des Anonymen zu definieren, führt zu einer völligen Hingabe an das Dargestellte selbst. Vor allem die Porträts offenbaren diese Qualität von Struths Arbeiten. Heute, wo die persönliche Signatur und der Blick auf sich selbst - perfekt verkörpert durch das Selfie - und der immer lauter werdende Ruf nach Aufmerksamkeit zu einer bestimmenden Konstante der Fotografie geworden ist, bietet Struths Werk eine erfrischende Abwechslung: Stille.

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